Rassismus ist eine Ideologie, die bestehende ungleiche Machtverhältnisse rechtfertigt. In ihr werden Menschen nach nationalistischen Normen aufgrund verschiedener Körperlichkeiten und Verhaltensweisen hierarchisch geordnet. Diese rassistische Ideologie wird von den Menschen bestimmt, die die Deutungshoheit in einer Gesellschaft haben, d.h. die wirtschaftlich und politisch in der Machtpositionen sind. Rassismus rechtfertigt diese Machtposition, unter anderem indem wirtschaftliche Ungleichheiten über Stereotypisierungen begründet werden.

Diese hierarchisierten Stereotypisierungen orientieren sich am Rassenbegriff, der von europäischen „Wissenschaftler_innen“ entwickelt wurde. Es gibt in verschiedenen Gesellschaften verschiedene Rassismen mit jeweiligen Stereotypisierungen, Abwertungen und Historien. Der europäische Rassismus, der weiße Menschen als vermeintliche Spitze der Evolution sieht, ist besonders relevant, weil er die Rechtfertigung für eine globale Kolonialisierung seit dem 16. Jahrhundert bietet, und im Rahmen dieser immer noch als weißer Übermachtsglaube (white supremacy) über Jahrhunderte hinweg bestehen lässt. Rassismus entmenschlicht historisch. Frühere koloniale Ausbeutung wurde darüber gerechtfertigt, Menschen als „biologisch unterentwickelt“ und „tierisch“ zu bezeichnen. Heute werden Rassismen häufiger durch kulturelle Unterschiede gerechtfertigt, d.h. globale Ungleichheiten werden durch „wirtschaftliche“ oder „gesellschaftliche Unterentwicklung“ begründet statt koloniale Ausbeutung zu benennen.

Rassismen unterscheiden sich in ihren spezifischen Auswirkungen je nach Stereotypisierung und überschneiden sich mit anderen Formen von Unterdrückung wie dem Patriarchat oder der Klassengesellschaft. Das heißt, nicht alle Betroffenen von Rassismus machen dieselben Erfahrungen. Zum Beispiel vermengt sich Rassismus gegen Sinti und Roma mit Stereotypen von „bildungsfernen“ und armen Menschen. Rassismus überschneidet sich mit patriarchalen Vorstellungen indem weibliche nicht-weiße Körper als „exotisch“ oder „unterwürfig“ übersexualisiert werden und männliche nicht-weiße Körper entweder als hypersexuell oder asexuell eingeordnet werden.

Was Betroffene verschiedener Rassismen verbindet ist, dass sie als „anders“ bezeichnet werden. Dieses „anders“ wird in Deutschland in Abgrenzung zu einem “weiß sein” definiert. Dieses “weiß sein” begründet sich auf völkische Narrative, Nationalismus und verbindet sich mit dem weißen Übermachtsglauben.

Rassismus hat sich zu einer auf Kulturdeterminismus berufenden Ideologie entwickelt. “Weiß sein” ist ein kulturelles Konstrukt und basiert nicht nur auf Hautfarbe oder Gesichtsform. Die Akzeptanz als “weißer” Mensch oder die Ablehnung als “nicht-weißer” Mensch hängen auch an Akzenten, Religionen, Aufenthaltsstatus – oder dem Mangel dessen – bis hin zu Kleidungs- und Essensvorlieben. Diese nationalistischen Normen werden durch eine Mehrheitsgesellschaft vorgegeben, wobei es nicht nur darauf ankommt, ob diese Mehrheit in Zahlen vorhanden ist, sondern auch dass diese Mehrheit politisch und wirtschaftlich die Macht hat eine gesellschaftliche Norm vorzugeben.

Auf Grundlage dieser Norm, der Darstellung von gesellschaftlicher “Normalität” werden Menschen, die als “anders” gelesen werden, von der Öffentlichkeit und dem Staat aufgefordert sich zu integrieren oder assimilieren, d.h. sich dieser Normalität anzupassen. Diese Forderung basiert nicht nur auf der blanken Präsentation der Macht eine Norm vorgeben zu können, sie ist auch für viele Menschen grundsätzlich unmöglich zu erfüllen. Auch ein kulturell begründeter Rassismus bezieht sich weiterhin auf Unterschiede in der Körperlichkeit von Menschen. Von People of Color¹ wird eine überhöhte Anpassung an weißen Normen verlangt, indem ihre Integration und Assimilierung ständig unter Prüfung stehen. Auch eine angepasste Person of Color wird immer wieder auf die ihr angedichtete Andersartigkeit zurückgeworfen werden. Deshalb bleibt der öffentliche Raum ein Ort, in dem People of Color der Gefahr rassistischer Gewalt ausgesetzt sind.

Rassismus konstruiert unveränderbare Unterschiede zwischen Menschen. Thematisierung von Rassismus läuft in die Gefahr diese Unterscheidung zu reproduzieren, indem wieder von weißen und People of Color gesprochen wird. Rassismus schafft allerdings reale Unterschiede zwischen Menschen, da manche Menschen Rassismus erfahren und andere Menschen nicht. Wir sprechen daher hier von Menschen, die von Rassismus betroffen sind -People of Color- und Menschen, die dies nicht sind.

Menschen, die Rassismus erleben, haben dadurch ein Wissen über Rassismus. Sie können Verhalten als rassistisch benennen, auch wenn dieses Verhalten vom Gegenüber selbst nicht als rassistisch gewertet wird und eventuell sogar ohne Absicht zur Ausgrenzung ausgeführt wurde. Jedoch ist der Akt der Ausgrenzung unabhängig von der Absicht, sondern findet in einem gesellschaftlichen System der Ausgrenzung statt. Auch von Rassismus selbst betroffene Menschen können und sind häufig rassistisch, da wir uns alle in einer Welt bewegen, die seit Jahrhunderten von Rassismus geprägt ist.

Arbeitsdefinition:

Da wir als kleines Projekt sowohl in Quantität als auch in der Qualität der verarbeitbaren Daten begrenzt sind, haben wir uns entschlossen einen spezifischen Ausschnitt an rassistischen Übergriffen abzubilden.

Wir kartieren das Erleben von rassistischer Gewalt. Wir haben oft wenig Informationen zu den exakten Motivationen der Täter_innen bei den jeweiligen Vorfällen. Wir können uns in der Regel aber sicher sein, dass der jeweilige Vorfall von der adressierten Person als rassistisch wahrgenommen wurde. Unsere Einträge basieren auf der Wahrnehmung von rassistischer Gewalt.

Wir kartieren Übergriffe im physischen und meist öffentlichen Raum. Wir kartieren rassistische Gewalt im öffentlichen Raum, weil wir kaum Zugang zu Informationen zu rassistischer Gewalt in privaten Räumen haben. Gewalt von Fremden an Wohnorten ist für uns allerdings eine eigene Gewaltkategorie, da diese Form von Übergriffen zum Beispiel als Brandanschlag häufig vorkommt.

Wir kartieren rassistische Gewalt im physischen Raum, d.h. off-line, weil der Umfang an rassistischen Äußerungen im virtuellen Raum für uns weder auf einer Karte lokalisierbar noch in seiner schieren Menge verarbeitbar ist.

Darüber hinaus gibt es jedoch zahlreiche weitere Felder rassistischer Gewalt, die auf dieser Karte nicht zu sehen sind. Das sind unter anderem:

  • massenhafte Hassnachrichten im Internet (hate speech, Internetdelikte)
  • Diskriminierung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt (strukturellen Rassismus)
  • Diskriminierung durch Behörden, Aufenthalts-, Asyl- und Integrationsgesetze (institutioneller Rassismus)
  • und im speziellen rassistische Polizei- und Grenzkontrollen (racial profiling)

Weiterführende Literatur:

Ogette, Tupoka (2019) Exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast Verlag, 4. Auflage
Said, Edward (2009 [1978]) Orientalismus. Frankfurt a. M.: Fischer

¹ Der Begriff „People of Color“ (singular: „Person of Color“) wurde von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA in den 1970ern geprägt. People of Color schließt alle Menschen ein, die nicht Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft sind.